Samstag, 7. Dezember 2013

Nelson Mandelas Botschaft zur Abhöraffaire: Vertrauen und Versöhnung sind Fundamente menschenwürdiger Politik

Motiv im Museum von Robben Island
Nelson Mandela ist am 5. Dezember 2013 verstorben. Bereits seit einiger Zeit hat sich Nelson Mandela aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und sich nicht mehr in das politische Tagesgeschehen eingemischt. Die Nachricht vom Tod Nelson Mandelas erreicht die Welt nicht völlig überraschend, aber sie erfüllt trotzdem viele Menschen mit Trauer. Wenn jedoch maßgebliche Politiker der ganzen Welt ihren tiefen Respekt vor einer großen Persönlichkeit beteuern und Nelson Mandela als Vorbild für die Welt betrachten, sei die Frage gestattet, wie ehrlich diese Floskeln tatsächlich sind. Wir wissen nicht, ob Nelson Mandela abgehört wurde (vielleicht weiß Edward Snowdon mehr?), an guten Gründen hat es nicht gefehlt.
Nelson Mandelas Tod lässt uns nicht unberührt. Nelson Mandela hat Unglaubliches bewirkt, obwohl er 27 Jahre seines Lebens in Gefängnissen inhaftiert war, davon 18 Jahre auf Robben Island. Auf unseren 11 Reisen durch Südafrika hat uns der Besuch der ehemaligen Gefängnisinsel Robben Island wie kein anderes Ereignis emotional aufgewühlt. Mit der Ablösung des Apartheid-Regimes (1994) wurde die Insel zu einer Gedenkstätte umgewandelt, die seit 1997 für Besucher zugänglich ist und seit 1999 als 'UNESCO-Weltkulturerbes' aufgeführt ist.
Webseite Robben Island Museum                           Diashow der Fotoserie unseres Besuchs auf Robben Island am 6. April 2007

In Anbetracht des fehlenden Zugangs zu legitimen institutionalisierten Machtinstrumenten erklärten Mandela und der ANC zur Zeit der Apartheid zunächst gewaltfreien Widerstand auf Grundlage des Wertekodexes europäischer Rechtskultur zu ihrer Waffe. Europäische und US-amerikanische Wirtschaftskonzerne und politische Institutionen sahen jedoch lange ihre Interessen eher durch das Apartheidsregime gewahrt und unterstützten dieses gegen die vermeinlich revolutionäre und prokommunistische Bewegung des ANC. Als der ANC begann, einen Kampf mit terroristischen Sabotageakten zu führen, werden ihre Anführer gefangen genommen und vor Gericht gestellt. Ihnen droht die Todesstrafe wegen Verschwörung und Hochverrat. Nils Minkmar, Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen, erinnert mit seinem bemerkenswerten Artikel in der Print-Ausgabe vom 7.12.2013 an eine geradezu unglaublich weise Rede Nelson Mandelas vor dem Gericht, das 1964 über ein angemessenes Strafmaß zu befinden hat: "Wie hat er das gemacht?"

Das Gericht antwortet mit Härte und verurteilt die Anführer zu einer lebenslangen Verbannung mit Zwangsarbeit auf der Gefängnisinsel Robben Island. (Ahmed Kathrada, ein ehemaliger Weggefährte, berichtet in einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen von seinen Erlebnissen an der Seite Nelson Mandelas, die auf Robben Island begannen: Im doppelten Boden das Papier) Mit der Verurteilung führender Köpfe des ANC ist 1964 ein fünfzigjähriger Kampf gegen totalitäre und terroristische Apartheid-Politik vorerst gescheitert. Gewalt des Protestes hat nur noch stärkere Gegengewalt der Staatsmacht provoziert und die Unerträglichkeit des Lebens für die schwarze Bevölkerung weiter gesteigert. Die ANC-Führer ziehen aus der erfolglosen Gewalteskalation ihre Lehren. Entgegen der vorherrschenden politischen Doktrin (die bereits Machiavelli, 1469-1527, beschrieb), gemäß der 'Liebe' keine relevante politische Option von Macht sein kann, betrachten sie 'Liebe' als einzige noch verbleibende Alternative. Sie halten am Ideal eines Wertekodexes europäischer Rechtskultur fest und verknüpfen ihn mit universellen Werten sozialer Kooperation: Vertrauen und Versöhnung. Diese Kombination wird zum Schlüssel des Tores, das bis dahin den Weg zu einem befriedeten Südafrika unter Aufhebung der Apartheid versperrte. Thomas Scheen, belgischer Journalist und Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen in Südafrika würdigt in einem lesenswerten Artikel Nelson Mandelas Rolle als 'moralischen Kompass' auf dem Weg in ein menschliches Südafrika ohne Rassentrennung: Der König der Versöhnung

Nils Minkmar verdanken wir den Hinweis, dass Angst nach wie vor ein bevorzugtes Mittel der Politik darstellt. Mit Milliardenkosten werden gigantische Überwachungssysteme errichtet, die jenseits aller rechtskulturellen Vereinbarungen viele Millionen Menschen unter Kontrolle halten sollen. Und warum das Ganze? Es ist die Angst vor den nicht umkehrbaren Folgen einer Globalisierung, an der wir fleißig mitwirken. Aufgrund der Globalisierung treffen wir auf Menschen, die für ihr eigenes Leben das Recht auf einen angemessenen Anteil einfordern, während wir in Angst erstarren. Wir haben den Geist aus der Flasche gelassen, aber als Zauberlehrlinge vermögen wir ihn nicht wieder einzufangen. Als die vermeintlich Stärkeren wollen wir keine Rechte teilen. Wir bestehen weiter auf Apartheid und haben überwiegend noch immer nicht verstanden, welchen Preis die Totalüberwachung fordert. Die Politik der Totalüberwachung entwertet universelle Freiheits- und Bürgerrechte, zerstört politische Kultur und untergräbt das friedliche Zusammenleben von Menschen.

Nelson Mandela war ein mutiger Mensch. 'Mut' bedeutete für ihn nicht, keine Angst zu haben, sondern die Angst zu überwinden. Gemäß Logik der Situation stand Südafrika vor einem blutigen Bürgerkrieg, der nach aller Erfahrung nicht mehr aufzuhalten war. Nelson Mandela konnte den ANC von der revolutionären Kraft einer Politik des Vertrauens und der Versöhnung überzeugen. Er selbst und seine Mitstreiter sind dabei ein hohes Risiko eingegangen. Sie haben nicht weniger als ihr Leben riskiert. Wer von uns besaß genug visionäre Kraft, um zu glauben, dass diese Politik einen friedlichen Regimewechsel einleiten könnte? Vermutlich waren das nur wenige Menschen. Wenn Nelson Mandelas Tod weltweite Trauer auslöst und Mandela als Lichtgestalt der Weltpolitik gewürdigt wird, wirft dieses Licht zugleich einen Schatten auf uns. Der Erfolg von Nelson Mandelas Politik hat uns völlig zu Recht nicht nur äußerst beeindruckt, sondern vor allem in unserer eigenen Mutlosigkeit und visionären Armut zutiefst beschämt. Wenn jedoch Nelson Mandela in Nachrufen von führenden Politikern als Vorbild für die Welt bezeichnet wird, kann dieses Statement nicht aus Sicht der politischen Welt formuliert sein, solange Prinizipien von Macht, Kontrolle, Abschreckung und Gewaltsanktionen die Weltpolitik dominieren. Eine Politik des Vertrauens und der Versöhnung bildet für politische Doktrin der Gegenwart, ca. 500 Jahre nach Machiavelli, nach wie vor keine relevante Option.

Wieder nichts aus Geschichte gelernt!

I'am sorry!

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